Der Tod ist ein Meister aus Deutschland - August Diehl in „Das Verschwinden des Josef Mengele“

Rattenlinien – so nannte man die Fluchtrouten, auf denen sich führende Nationalsozialisten und SS-Angehörige nach 1945 über Italien und Spanien nach Südamerika absetzten. Dazu gehörte Josef Mengele - der Lagerarzt von Auschwitz, der an der berüchtigten „Rampe“ Selektionen und an Häftlingen menschenverachtende medizinische Experimente durchführte.
Mengele wurde nie gefasst. Über seinen Verbleib rankten sich zahlreiche Mythen und Verschwörungstheorien, bis 1985 auf dem Friedhof im brasilianischen Embrú seine Gebeine entdeckt wurden.
Zur Entmythologisierung trägt sicherlich auch Kirill Serebrennikovs „Das Verschwinden des Josef Mengele“ bei. Die Filmhandlung setzt 1956 in Buenos Aires ein, wo Mengele (August Diehl) hektisch seine Koffer packt, mit hochgeschlagenem Mantel und Sonnenbrille hinaustritt, um in ein Taxi Richtung Flughafen zu steigen. Die geschulterte Handkamera folgt ihm - diese aufdringliche, unangenehme Nähe zum Kriegsverbrecher wird der Film immer wieder herstellen.
Lange Jahre kann sich Mengele mit seinen nationalsozialistischen Gesinnungsgenossen in Argentinien sicher fühlen - bis zur Absetzung von Machthaber Juan Perón. 1956 reist er sogar für ein paar Tage unbehelligt zurück ins bayrische Günzburg, um die Verwandtschaft zu treffen. Mengele kann sich auf ein Netzwerk in Südamerika und die Unterstützung seiner Familie verlassen.
Als sein Sohn Rolf (Maximilian Meyer-Bretschneider) ihn 1977 in São Paulo besucht, versucht er den ihm unbekannten Vater zur Rede zu stellen. Während Mengele den Anschuldigungen wütend ausweicht, wechselt der Film vom düsteren Schwarzweiß ins kolorierte Format eines Amateurfilms. In idyllischen Farben sieht man den jungen Mengele, wie er mit freudvollem Gesichtsausdruck an der Rampe in Auschwitz die Ankommenden in die Gaskammer aussortiert.
Auch bei seiner Arbeit in der Krankenbaracke schaut er gut gelaunt in die Kamera, während ein Mann mit deformiertem Rücken vermessen und im Hof mit einem beiläufigen Kopfschuss erschossen wird. Mengele weidet die Leiche wenig später wie einen Tierkadaver auf dem Seziertisch aus.
Auch wenn der Film diese bestialischen Taten aus der Distanz eines fingierten Amateurvideos zeigt, dreht sich einem beim Anblick der Bilder der Magen um. Der stets couragierte August Diehl spielt Mengele in einer verstörenden Performance als zutiefst vergiftete Seele, die kein Reueempfinden entwickelt und bis zum Tod an ihrem Weltbild festhält.
Mit einer klaren, kühlen, analytischen Haltung blickt der Film tief hinein ins Herz der Finsternis und zeigt, wie eng Rassismus und Paranoia in Mengeles Kopf verbunden waren – eine unselige Allianz, die sich auch heute im wiedererstarkenden Rechtsradikalismus beobachten lässt.
„Das Verschwinden des Josef Mengele“, Regie: Kirill Serebrennikov, mit August Diehl, 135 Minuten, FSK 12 (ab 23. Oktober im Kino)
rnd